Wer steckt hinter QAnon? Eine Sprachanalyse liefert Antworten (2024)

Wer ist Q? Zwei unabhängige Forschergruppen aus der Schweiz und aus Frankreich wollen das Rätsel gelüftet haben.

Reto Stauffacher

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Wer steckt hinter QAnon? Eine Sprachanalyse liefert Antworten (1)

QAnon ist eine der bizarrsten und gleichzeitig erfolgreichsten Verschwörungstheorien der Welt. Die Anhänger glauben an eine geheime Elite, den sogenannten Deep State, der im Hintergrund die Welt regieren soll.

Mitglieder dieser angeblichen Geheimregierung sind wahlweise «mächtige Linke» wie Hillary Clinton und Joe Biden, Superreiche wie Bill Gates und George Soros oder generell «mächtige Juden», womit auch der Antisemitismus bedient wird. Der einzige Politiker, der sich den dunklen Mächten im «tiefen Staat» entgegenstellt, ist laut Anhängern der frühere amerikanische Präsident Donald Trump.

Beim Angriff auf das Capitol im Januar 2021 waren die QAnon-Anhänger eine treibende Kraft, das FBI stuft die Gruppe als «potenzielle terroristische Bedrohung» ein. Gleichzeitig nimmt ihr Einfluss auch in der institutionellen Politik zu: Seit den letzten Wahlen sitzt mit der Republikanerin Marjorie Taylor Greene sogar eine QAnon-Anhängerin im amerikanischen Kongress.

Der republikanische Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, distanzierte sich zwar von ihr und sagte: «Verrückte Lügen und Verschwörungstheorien sind ein Krebsgeschwür für die Partei und unser Land.» Doch Greene ist an der Basis breit abgestützt, sie sammelte im Anschluss an diese Kritik Hunderttausende von Dollar an Spendengeldern für ihre politische Arbeit.

Aus den dunkelsten Winkeln des Internets

Seinen Anfang nahm QAnon im Jahr 2017: Damals packte ein gewisser Q, der sich als Whistleblower und ranghohes Mitglied der amerikanischen Regierung ausgab, «Insiderinformationen» aus. Er nutzte dafür insbesondere das Internetforum «4chan». Wer das Forum aufruft – inzwischen heisst es «8kun» –, stösst auf verstörende p*rnografische, extremistische und gewaltverherrlichende Beiträge. Von dort fanden die Inhalte den Weg an eine breite Öffentlichkeit. Die bekannteste QAnon-Theorie war «Pizzagate»: Diese besagte, dass Hillary Clinton im Keller einer Pizzeria in Washington DC Kinderhandel betrieben habe.

Bis heute ist unklar, wer Q wirklich ist. Und solange seine Identität nicht geklärt ist, gehen seine Anhänger davon aus, dass es sich tatsächlich um einen Insider handelt. Das Misstrauen ist derart gross, dass selbst absurdeste Geschichten für bare Münze genommen werden. Beispielsweise jene, dass sich im National Butterfly Center in Texas ein pädophiler Teufelskult abspiele. Seit dieses Gerücht die Runde macht, wird das Konservatorium von QAnon-Anhängern belagert.

Linguistische Spurensuche

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Nun sind zwei unabhängige Forschungsgruppen dem Urheber auf die Spur gekommen. Oder besser: den beiden wahrscheinlichsten Urhebern.

In einer linguistischen Analyse konnte dem Amerikaner Ron Watkins und dem Südafrikaner Paul Furber eine mehr als 90-prozentige Übereinstimmung mit den Veröffentlichungen von Q nachgewiesen werden. Beide Männer bewegen sich seit Beginn im innersten Umfeld von QAnon, haben bisher allerdings dementiert, Q selbst zu sein.

Während die Q-Beiträge aus den Anfangsjahren insbesondere Furber hätten zugeordnet werden können, seien ab 2018 auch stilistische Eigenheiten von Watkins in den Schriften erkennbar, so die Forscher. Das könnte darauf hindeuten, dass Furber und Watkins zu diesem Zeitpunkt gemeinsam unter dem Kürzel publizierten, bevor Watkins schliesslich die führende Rolle übernahm.

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Eine Studie wurde von Orphanalytics durchgeführt, einem Unternehmen mit Sitz in Vevey, das sich auf maschinelle Sprachanalyse spezialisiert hat. Die andere stammt von den beiden französischen Computerlinguisten Florian Cafiero und Jean-Baptiste Camps. Beide Teams haben mithilfe von künstlicher Intelligenz Tausende Beiträge von Q analysiert, die stilistischen Merkmale der Texte untersucht und mit Beiträgen von realen Personen aus dem Umfeld von QAnon abgeglichen, darunter auch solche von Donald Trump selbst.

Das Schweizer Team teilte mit, dass die Übereinstimmung der Textfragmente von Furber und Watkins mit jenen von Q bei 93 Prozent liege. Die Franzosen identifizierten Watkins’ Schreibstil in 99 Prozent der Textproben, bei Furber sind es 98 Prozent. Das schreibt die «New York Times», die exklusiven Einblick in beide Studien erhalten hat. Es spricht für die Plausibilität der beiden Untersuchungen, dass zwei voneinander unabhängige Forscherteams mit unterschiedlichen Methoden zu denselben eindeutigen Ergebnissen gelangt sind.

«Q hat offensichtlich unsere Gedanken übernommen»

Von der «New York Times» auf die Untersuchung angesprochen, stellte Watkins klar: «Ich bin nicht Q.» Furber hingegen wich einer eindeutigen Antwort aus und sagte: «Q hat offensichtlich unsere Gedanken übernommen. Wie viele andere Menschen habe ich begonnen, so wie er zu schreiben und zu denken.» Das würde die Ähnlichkeit seiner Äusserungen mit jenen von Q erklären.

Beide Männer sind schon lange als Verschwörungstheoretiker bekannt. Der 34-jährige Ron Watkins ist der Sohn von Jim Watkins, dem Gründer und Betreiber der umstrittenen Plattform «8kun». Im Herbst will er für den amerikanischen Kongress kandidieren.

Jim Watkins war für die Armee jahrelang in Asien stationiert, unter anderem in Südkorea und Japan. Erstmals für Schlagzeilen sorgte er 1998, nachdem er eine japanische p*rno-Website namens «Asian Bikini Bar» gegründet hatte. Indem er die Daten in den USA hostete, umging er die strengen Zensurgesetze in Japan. Später führte er ein Restaurant in Manila und baute dort unter seiner Firma M.T. Entertainment eine Website für Kinderp*rnografie sowie ein Internetforum auf.

Angefangen beim Mord an JFK

Bevor er entfernt wurde, zeichnete sein Youtube-Kanal das Bild eines esoterisch angehauchten, nationalistischen und religiös-fundamentalistischen Menschen. Er filmte sich beispielsweise oft dabei, wie er Hymnen singt oder Bibelsprüche vorliest. Er dürfte seinen Sohn, über den viel weniger bekannt ist, stark geprägt haben.

Paul Furber ist der zweite Verdächtige. Der 55-Jährige lebt in Johannesburg und arbeitet als freier Technikjournalist und Softwareentwickler. Auf seinem Linkedin-Profil schrieb er, bevor es gelöscht wurde: «Ich schreibe, ich codiere, ich codiere, um zu schreiben.» Er arbeitete während Jahrzehnten in der südafrikanischen Tech-Industrie und war dadurch auch in den USA gut vernetzt.

Er gilt wie Watkins als einer der allerersten QAnon-Anhänger und war vor allem in den Anfangsjahren an deren Verbreitung beteiligt. Sein Engagement begründete Furber gegenüber der «New York Times» mit einem «ausserordentlichen Interesse an der amerikanischen Politik», das er von seinen Eltern geerbt habe. Seit er vom Attentat auf John F.Kennedy gelesen habe, sei er an alternativen Fakten interessiert. Es habe damals so viele Ungereimtheiten in der offiziellen Version gegeben, das habe ihn gepackt.

Ein Selbstläufer geworden

Seit Ende 2020 schweigt Q. Erhält er keine Informationen mehr, seit Trump abgewählt ist? Ist er aufgeflogen, und wurde er ermordet? Viel wahrscheinlicher ist eine andere Theorie: Er muss gar nichts mehr sagen. QAnon ist zu einem Selbstläufer geworden. Die Ideologie, die zwei Männer zum eigenen Vergnügen ins Internet setzten, lebt weiter.

Kekistan, Q, Klapperschlange: Das sind die Symbole der radikalen Trump-Anhänger.

NZZ

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